Der Poverty Slam am 13.02.25 im G6 war ein voller Erfolg. Beeindruckt hat uns vor allem der Slam der Gewinnerin Sylvia Brunner mit dem Titel “Armut ist”. Frau Brunner hat uns erlaubt, diesen schonungslos ehrlichen Text zu veröffentlichen. Vielen Dank für diesen Slam:
Armut ist:
Das nein, das du sagst,
wenn die Kollegen mittags zum Essen gehen
und dich fragen, ob du mitkommst, und dein: keine Zeit
kopfschüttelnd hinnehmen, aber gar nicht verstehen.
Denn eigentlich ist kaum Arbeit da,
eigentlich ist Zeit für eine lange Mittagspause.
Aber einmal Kantine heißt halt für dich:
danach ´ne Woche trocken Brot zu Hause.
Armut ist:
Der Kapuzensweater, den du trägst,
wenn du mit der Plastiktüte in der Schlange stehst
vor der Suppenküche in der Bahnhofsstraße,
zu der du zweimal die Woche gehst.
Aber immer mit Hoodie, die Kapuze tief im Gesicht,
damit dich von den Nachbarn keiner erkennt.
Darum senkst du den Kopf, machst dich im Sweater klein,
während die Scham auf deinen Wangen brennt.
Armut ist:
Die Tür, die du zuschlägst,
wenn dich jemand besuchen will, und dann
auch niemanden mehr besuchen gehen,
weil man sich nicht revanchieren kann.
Die vergilbten Gardinen, die zerschlissene Couch –
in deiner Wohnung kannst du es kaum kaschieren,
dass das Sozialkaufhaus dein Amazon ist,
dass du in Dingen wohnst, die andere ausrangieren.
Armut ist:
Die Erkältung, die du hast.
Die den ganzen Winter über nie richtig verschwindet,
weil die Schuhe an den Sohlen löchrig sind
und durch die dünne Jacke kalte Winterluft windet.
Weil die Medikamente unerschwinglich sind,
einmal Nasenspray gleich zweimal essen.
Und weil die Heizung oft ausbleibt, weil die gestiegenen Preise
sonst den Zuschuss vom Amt schon im November auffressen. Armut ist:
Der Antrag in deiner Hand,
mit dem du dem Beamten gegenübersitzt,
der dich mit Fragen löchert und die Macht
über so vieles in deinem Leben besitzt.
Und er weiß das genau, und er sagt süffisant,
ein Job fände sich leichter, wenn du erst mal
zum Friseur gingest. Und du sitzt da und nickst.
Er hat recht. Nur hast du halt nicht die Wahl.
Armut ist:
Der Zettel, den du abgibst,
in der Schule beim Lehrer, für die Klassenfahrt.
Ohne Unterschrift. Hast ihn daheim nicht gezeigt.
Hast geschwiegen. Für Mama ist es eh schon hart.
Du siehst es ja täglich, wie ihr das ewige NEIN
zu allem, was deine Freunde haben, das Herz zerbricht.
Keine Lust, sagst du leise, bleibe lieber daheim,
geh in die Parallelklasse zum Unterricht.
Armut ist:
Die Ehrenrunde, die du drehst,
weil du zwar klug bist, aber Mathe nie kapierst.
Du lernst die Nächte durch, doch das führt nur dazu,
dass du die Hoffnung völlig verlierst.
Alleine schaffst du es nicht; Nachhilfe ist nicht drin,
und dein Papa - der rechnet lange schon nur noch in Promill,
weil er gefühlt sein Leben lang Ehrenrunden dreht
und die Hoffnungslosigkeit nicht mehr fühlen will.
Armut ist:
Der Schlüssel, den du trägst,
mit dem du nach der Schule die Tür aufschließt.
Das Essen aufwärmst, abspülst und dafür sorgst,
dass deine Schwester die Hausaufgaben nicht vergisst.
Es ist die Verantwortung, die du nicht tragen solltest.
Du solltest mit dienen Kumpels auf dem Bolzplatz sein!
Doch die rufen kaum noch an, weil du eh fast nie Zeit hast.
Und deine Schwester, die ist ja noch so klein … Armut ist:
Das Gesicht, das du nicht siehst,
wenn jemand an dir vorübergeht,
da in dem Hauseingang auf deinem Pappkarton
und mit dem Becher voller Münzen, der vor dir steht.
Es sind die Augen, die dich nicht ansehen, die Lippen, die dich nicht grüßen,
weil du kein Mensch mehr bist, sondern der Vorwurf in Person,
dass sie teilen sollten. Doch das wollen sie nicht.
Deshalb eilen sie immer schnell davon.
Armut ist:
Wo wir nicht hinsehen wollen.
Wo wir die Kinder schnell weiterziehen.
Wo es uns unangenehm ist, dass es uns so gut geht.
Wo wir sie schmerzhaft spüren, die Gefahr darin.
Die Gefahr, die unsere Gesellschaft birgt,
die Besitz über soziale Kompetenzen stellt.
Und am meisten beachtet werden immer die,
die am meisten haben in dieser verkehrten Welt.
Armut ist
Vieles, aber wohl nie frei gewählt.
Wir haben es nicht immer selbst in der Hand.
Nur ein kleiner Schritt, nur ein Schicksalsschlag.
Nur einmal die Pfoten zu oft verbrannt.
Nur einmal zu müde vom Leben, einmal zu naiv,
nur einmal zu viel die andere Wange hingehalten.
Schuld ist in den wenigsten Fällen
die Art, wie wir unser Leben gestalten.
Armut ist.
Und sie kennt oft kein Zurück.
Einmal gepackt, hält sie uns wie Treibsand fest
und verschlingt uns immer weiter, gibt uns keine Chance.
Was sich auf diesen Dreisatz runterbrechen lässt:
Ohne Arbeit kein Geld, ohne Geld keine Wohnung,
und ohne Wohnung kein Job. So einfach, so brutal.
Und jeder, der sagt: du musst doch nur wollen,
dem sind Zahlen und Fakten völlig egal. Armut ist.
Und Whataboutism
hilft niemandem. Er dient ausschließlich dem Zweck,
die Verantwortung für dieses gesellschaftliche Versagen
wieder von uns, der Gesellschaft, weg
auf jene abzuwälzen, die betroffen sind.
Die dann neben den Problemen noch den Schwarzen Peter haben.
Wir brauchen Lösungen. Nicht Verurteilung. Und
das schreibe ich in Großbuchstaben!
Armut ist
leise. Sie ist schüchtern uns still.
Sie will nicht so gerne im Mittelpunkt stehen.
Weil Sichtbarkeit auch immer heißt:
sich rechtfertigen. Ja, fast ums Nachtreten flehen.
Doch so lange ihr Flüstern ungehört verhallt,
so lange wissen wir nicht, wo wir helfen sollen.
Wir müssen sie hören. Aber vor allem
müssen wir sie auch hören wollen.
Armut ist.
Und Armut bleibt,
wenn wir das schlechte Gewissen immer wegignorieren.
wenn wir immer weiter die Augen verschließen.
Wenn wir die Wirklichkeit nach unserem Gusto kreieren.
Wenn wir wie abertausend Marie Antoinettes
uns krampfhaft einreden, es gäbe genug Kuchen.
Mögen wir an unserem Stück ersticken,
wenn wir es nicht wenigstens versuchen!
Denn Armut ist
Ein Armutszeugnis. Aber für uns!
Das sollten wir uns vor Augen führen.
Dass wir mit jedem gehorteten Euro
ein Stück unserer Menschlichkeit verlieren.
Vielleicht müssen wir ja gar nicht gleich teilen?
Vielleicht genügt es für den Anfang, das Gefühl zu geben,
dass Geld zwar unseren Standard bestimmt,
aber niemals unseren Wert im Leben!
(Text und Rechte: Sylvia Brunner)